Begegnungen

 

Eine unerwartete Begegnung

 

An einem sonnigen Nachmittag zog es mich an einen einsamen Strand, wo ich keinem Menschen begegnen wollte. Mein Ziel war die Bucht südlich des  Capo Secco. Von dem Weg, der zum Kap führt, gab es einen steilen Maultierpfad, den ich hinunter-kletterte. Es war der kürzeste abschüssige Zugang zu der Bucht, in der es außer Gebüsch und vertrockneten Bäumen nur eine verlassene Fischerhütte gab. Ich ging weiter hinunter an den steinigen Strand, setzte mich dort nieder und genoss die Stille, die nur von dem Geschrei von der Vogelinsel kontrastiert wurde. Ein Gefühl tiefer Zufriedenheit stellte sich ein.

 

 

Urplötzlich tauchten direkt vor mir drei Froschmänner in schwarzen Taucheranzügen aus dem Meer auf, mit Harpunen bewaffnet, die auf mich gerichtet waren. Ich war vor Schreck so gut wie gelähmt. Die drei wollten aber nichts von mir, und verzogen sich landeinwärts. Es wäre ein interessantes Foto geworden, aber ich war dazu unfähig.

 

 

Eine flüchtige Bekanntschaft

 

Als ich zum Fotografieren in den Krater hinabstieg, traf ich unten zwei Deutsche mittleren Alters, was ungewöhnlich war, da ich dort unten noch niemanden gesehen hatte. Da kamen wir schnell ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass sie beide Schulmeister waren, die ihren Tourenplan wie den Lehrplan abarbeiteten. Morgen sollte es weiter nach Lipari gehen, dann weiter nach Salina und Panarea und anderen Inseln, dann als Höhepunkt zum Stromboli. Da sie sich in Zeitdruck versetzt hatten, mussten sie bald weiter. Ich wünschte ihnen gute Weiterreise.

 

 

Die Abmachung mit der Wirtin

 

Zur Regelung der Bedingungen des Aufenthalts in dem Appartement direkt am Fuß des Gran Cratere wollte ich typisch deutsch die Abmachung schriftlich fixiert haben, da ich gehört hatte, dass manchmal die abreisenden Touristen nach der Rechnung gefragt werden, wohl um der Steuerhinterziehung und den Tangenti zu begegnen. Meine Wirtin sagte darauf: „La parola conta“. Das ist grundsätzlich auch meine Einstellung, und es ist mir bekannt, dass auf Sizilien eine mündliche Abmachung mehr Geltung hat als ein Fetzen Papier. Da auch der Mietpreis sensationell günstig war, und außerhalb der Saison kaum mit Kontrollen zu rechnen war, gönnte ich ihr die Steuerfreiheit und stimmte zu.

Anschließend fragte ich noch um Konversation zu machen, was sie denn von dem Capo Grande halte, dessen Ausbruch ja überfällig sei, und von dem ihre Existenz abhänge. Sie machte eine abwehrende Geste „Mai pensare, mai pensare“.

Bekanntlich fühlen sich die Menschen am Fuß eines Vulkans am wohlsten.

 

 

 

                 Begegnung mit einem Gestrandeten

 

Eines meiner Lieblingsziele für einen kurzen Klettergang war das Capo Grosso. Dort muss man sich auf der Höhe durch Ginsterbüsche und Gestrüpp den Weg bahnen, um weiter zur Spitze zu gelangen. Von dort öffnet sich der Blick zum Gran Cratere.

 

 

Rückblick vom Capo grosso

 

Bei dem Aufstieg auf einem Trampelpfad dorthin kam ich jedesmal an einem verwunschenen Haus vorbei, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren. Das Grundstück war mit Kakteen und Agaven dicht bewachsen und ließ nur einen gewundenen Zugang frei. Einen Bewohner sah ich lange nicht.

Dann aber bei meinem letzten Aufenthalt auf Vulcano kam der Eigentümer mir entgegen. Es war auch ein Deutscher, der einen stark heruntergekommenen Eindruck machte. Seine zerlumpte Hose hatte er mit einem Bindfaden zusammengebunden und sein Hemd schien vom Sperrmüll aufgelesen zu sein. Er war zur Bucht der Cala del Formaggio hinuntergestiegen und hatte dort am Strand von Lipari her angespülte „Schätze“ aufgesammelt, die er mir zeigte. Es musste an meiner Anstalt-Bethel-Ausstrahlung gelegen haben, dass er zu mir Vertrauen fasste. Aber diese erste Begegnung war nur kurz, da ich zum Capo Grosso weiter wollte.

Ein paar Tage später überredete ich Christel zum Kap mitzukommen. Auf dem Rückweg begegneten wir ihm wieder. Er war gerade im Begriff, zu seiner Schatzküste zu gehen, und da auch Christel im Umgang mit unkonventionellen Menschen erfahren ist, kamen wir länger ins Gespräch. Er erzählte, dass er aus Deutschland, genauer gesagt München, geflohen sei, und mit seinem letzten Geld das heruntergekommene Anwesen gekauft habe. Als ich das Wort Mafia in den Mund nahm, zuckte er ängstlich zusammen, als würde hinter ihm ein Lauscher stehen. Dann lud er uns in sein Haus ein. Auf der Hinterseite des Hauses stand eine Leiter, die auf die Terrasse im 1. Stock führte. Dort befand sich der Eingang zu seinem einzigen einigermaßen vorzeigbaren und vielleicht genutzten Zimmer. In den anderen herrschte ja Dunkelheit. Er kam dann ins Erzählen aus seinem Leben: Ehe kaputt, jede Menge Streitereien, aus dem Job bei einer Versicherung rausgeflogen, eine zerbrochene Existenz. Wenn er ein wenig Geld brauche, würde ihn sein ehemaliger Arbeitgeber zur Ferienzeit als Portier zur Aushilfe anstellen. Nun bestand er nur noch aus Ängsten, auch diese seine letzte Zuflucht könne ihm genommen werden: Zunächst von der Mafia, die bei ihrer Expansion ein Auge auf sein Grundstück geworfen haben könnte. Dann fragte er mich nach der Gefährlichkeit des Vulkans. Da konnte ich ihn insoweit beruhigen, als ein Ausbruch sich ankündigt. Viel gefährlicher für die Ortschaft am Hafen sei ein Tsunami mit kurzer Vorwarnzeit durch das nahe Beben wie damals in Messina, der die gesamte Ebene des Lentiakraters verheeren würde, den er aber von seinem Haus in Halbhöhenlage betrachten und eventuell hochkletternd überstehen könne. Das war der einzige Trost, den ich ihm geben konnte.

 

Eine autonome Therapie

 

Am Fangobecken traf ich im Frühjahr eine Frau mittleren Alters aus Hamburg. Sie schilderte mir ihre Hautkrankheit. Jedes Jahr käme sie für 3 Wochen mit dem Zug (die Reise dauert immerhin einen Tag) nach Vulcano, weil diese ihre private Kur im Fangobecken ihr Leiden für ein Jahr lang deutlich vermindere. Sie bleibe dann in dieser Zeit konsequent auf der Insel.

 

Begegnung mit einem Scirocco

 

Es geschah im Oktober, an einem Freitag dem 13. bei Vollmond im Jahr 2000, eine abergläubische Konstellation.

Es war ungewöhnlich warm für die Jahreszeit, und ein Sturm baute sich bei klarem Wetter auf. Am Strand prasselten die Sandkörner an die Waden, weil man nur rückwärts unbeschadet den Strand verlassen konnte. Auf dem Rückweg sah ich, wie der Sturm Asche vom Hang des Vulkans fortwehte. Er steigerte sich noch im Lauf des Abends und wurde kontinuierlicher. Um Mitternacht hielt ich es im Haus nicht mehr aus, und ich stieg mit einer Matratze auf das Flachdach. Dort legte ich mich nackt hin und ließ mich vom warmen Wind (ca. 30°) streicheln. Es war ein quasi erotisches Erlebnis, ein romantischer Dichter würde es das Liebkosen des Zephyrs nennen.

Erst auf der Rückfahrt bekam ich zu sehen, was der Scirocco am nächsten Tag weiter nördlich angerichtet hatte. Er war am Südhang der Alpen mit einer Kaltfront zusammengetroffen, die in den Alpen Schnee abgeladen hatte und weiter in die Po-Ebene vorgedrungen war. Über dem Meer hatte sich der vorher trockene Scirocco mit Feuchtigkeit vollgesogen, sodass sich an der Front die Schleusen des Himmels öffneten. Das hatte eine verheerende Überschwemmung zur Folge, die ich wenige Tage später noch bei der Zugfahrt besichtigen konnte.