Besessenheit
sitzen - besitzen - besessen
Phänomene ohne Anspruch auf Vollzähligkeit:
Hermetische Weltbilder (da kommt keine Maus rein oder raus)
Resistenz gegen Argumente
Verengung des Horizonts (Scheuklappen und rosarote Brille, Tunnelblick, Borniertheit)
Parteiliches Schwarzweißdenken in Gut/böse-Schema
Pauschalisierungen
geistige Verödung (Ignoranz)
Niedertracht (vor allem religiöse, nationalistische und rassistische)
Gemeindeleben mit missionarischem Drang: Je absurder die Glaubensinhalte, um so stärker
der Missionierungsdrang (Penetranz), aber auch das Zusammengehörigkeitsgefühl
Gebetsmühlen, verbal oder musikalisch
Illusionismus
Verdrängungsorientiertheit
Hochmut (Hybris)
Verfolgungswahn (Paranoia)
Verschwörungsdenken (Verschwörungsgötter)
Katastrophensehnsucht
Schuldsuche bei Anderen, Sündenbocksuche
Mobbing, Hetze, Häme
Fanatismus, Verbohrtheit, Verbissenheit
Verleumdung
Panikmache
Schamlosigkeit
Suchtverhalten (z.B. Drogen, Arbeit, Essen, Habgier, usw.)
Sammelwut (Akkumulationsdrang), Fetischismus
Verliebtheit
Todessehnsucht
Irrsinn
Dominotheorien
delirierende Feindbilder
Verbots- und Bestrafungswahn, überhaupt alle Wahnvorstellungen
Lügengespinste, "fromme" Lebenslügen
Sklaverei
es gibt nichts zu lachen, schon gar nicht über sich selbst
Schluss erst mal, bevor ich selber von der Aufzählerei besessen werde!
Kollektive lemminghafte Besessenheiten (Schwarmdummheit) mit ihren Wahnvorstellungen entstehen aus dem Wunsch, Teil einer Masse zu sein, um die eigene Bedeutung zu erhöhen, und tendieren im Extremfall zu Krieg oder Massenselbstmord. Wie schön wäre es, wenn man sich von alledem ausklinken könnte, aber in der hochspe-zialisierten Konkurrenzgesellschaft geht es ohne Besessenheit nicht. Die lange Latte der Phänomene deutet daraufhin, dass wir alle betroffen sind, mehr oder weniger. Wie soll als Beispiel ein Pianist ein Dutzend Klavierkonzerte auswendig spielen können, oder ein Schriftsteller 40 Jahre lang ein Werk in 10 Bänden mit hunderten Seiten klein gedrucktem Literaturverzeichnis über die Kriminalgeschichte des Christentums verfassen können, ohne besessen zu sein? Schicksale von hoch Spezialisierten sind in „Genie, Irrsinn, Ruhm“ von Lange-Eichbaum nachzulesen. Je größer die Besessenheit, um so höher die Anerkennung einer Führerfigur auch bei 50 Millionen Toten.
Doch Halt!! Auch hier gibt es eine Grenze, wo die Besessenheit von der Gesellschaft als unerträglich angesehen wird. Aber wo ist die? Eine Zivilisation, die noch nicht der Selbstzerstörung anheimgefallen ist, lebt von der Hoffnung, dass sich die unterschiedlichen individuellen Besessenheiten gegenseitig neutralisieren mögen (Dieses Wort drückt immer einen frommen Wunsch aus). Nur Wenige sind in der Lage, ihre spezielle Besessenheit über ihre ganze Lebenszeit durchzuhalten.
Man kann schon als Individuum eine bezahlte Tätigkeit ohne Besessenheit ausüben, aber dann wird man selbst unter miserablen Bedingungen besessen. Besessenheit ist in der Zivilisation ein positives Selektionskriterium. Wer dem Mahlstrom der Besessenheit entrinnen möchte, muss sich daher eingestehen, dass das nur im begrenztem Umfang möglich ist.
Meine Empfehlung:
Beschäftigung mit Tieren und Pflanzen ohne kommerzielle Absicht. Im eigenen Garten fällt es mir schwer, einem Wahn zu huldigen. Zudem erspart die Vielfalt der Tätigkeiten mancherlei körperliche Leiden.
7/2016
Addendum:
Dass es mir an der notwendigen Besessenheit mangeln könnte, um nachhaltig erfolgreich zu sein, ging mir anlässlich eines Jazzwettbewerbs in Wien auf. Dort sah ich schon in der Empfangshalle, wo man aufgerufen wurde, einen amerikanischen Bassisten, der keine Zeit ohne seine Übungen verschwenden wollte. Er hatte den Reißverschluss seiner Basshülle geöffnet, ergriff unter ihr hindurch die Saiten, und war pausenlos am zupfen. Das beobachtete ich sogar in einer Straßenbahn.